Shadowgate


von Chancell
12.12.2001

Bereits auf mehreren System geisterte die von Kemco vertriebene Abenteuerserie "Shadowgate" herum: Vom Heimcomputer über den Game Boy Color bis hin zum Nintendo 64 wurden die meisten Plattformen mit einem Ableger der düsteren Point & Click Adventure-Serie versorgt. Entsprachen in den Anfängen der 80er-Jahre eher traditionelle Text- und Pen & Paper Abenteuer dem Zeitgeist, griff das japanische Softwarehaus Kemco den gruseligen Stoff auf und machte es dem eher unbekannten Entwicklungshaus ICOM Simulations zur Aufgabe ein mit Bildelementen versehenes "Textadventure" zu programmieren. Gesagt - getan, bereits im Jahre 1987 bastelte man an der Urversion des neuen Projektes und machte sich Gedanken über die Strukturierung eines möglichst einfachen Interfaces, bis ein völlig neuer Entwickler die Bühne der Video- und Computerspielbranche betrat: Lucasfilm Games (heute Lucas Arts). Die von George "Star Wars" Lucas gegründete Tochtergesellschaft von Lucasfilm hatte es sich zur Aufgabe gemacht nicht verfilmte Storyvorschläge als interaktive Abenteuermedien umzusetzen. Im Jahre 1987 sorgte deren Erstlingsadventure Maniac Mansion nicht nur unter Genreveteranen für offenstehende Münder. Das genial einfach aufgebaute "SCUMM"-Interface (SCUMM = Story Creating Utility for Maniac Mansion) ließ die Spieler in eine virtuell-fantastische farbenfrohe Welt abtauchen - und alles ohne ein selbstgetipptes Wort! Es folgten etliche weitere Games (Monkey Island, Indiana Jones, etc), die auf diesem neuartigen System basierten: Man setzte sich aus einfachen Verben kleinere Sätze zusammen, welche der Protagonist auf dem Bildschirm spontan in die Tat umsetzte. Beispiel: Die Figur steht vor einer verschlossenen Tür, unter der Türmatte befindet sich der Schlüssel. Nun klickt man im Interface auf "NIMM" und dann auf die Türmatte, wodurch der Fußabtreter vom Screen verschwindet. Danach kann man sich auf dem selben Weg den Schlüssel holen, diesen aus dem Inventar wählen und schließlich "BENUTZEN" und die Tür öffnet sich. "Lieber gut geklaut als schlecht selbst erfunden" dachte sich das ICOM Simulations Team bei dem Erfolg von Maniac Mansion wahrscheinlich und fügte das bewährte Interface in einer überarbeiteten Variante in ihr "Text-Bild Adventure-Projekt" ein.

Die Story von Shadowgate klingt für Laien wie ein Drehbuch zu einer der berüchtigten Italo-B-Movies der 50er-Jahre: Ein unerfahrener Jüngling begibt sich allein in ein riesengroßes verfluchtes Schloss und stößt auf blutrünstige Werwölfe, finstere Demonen und herumliegende Menschenknochen. Doch dieser oberflächliche Eindruck ist zum größten Teil nur Fassade. Storytechnisch lässt sich das Game eher in Richtung Mittelalter verfrachten, da viele bekannte Fantasyelemente recycelt wurden und zum Teil in verbesserter Form an den Tag gelegt sind: Der schwarze Magier Warlock hat das uralte leerstehende Schloss "Shadowgate" in seine Gewalt gebracht, kurzerhand terrorisiert er aus seinem dunklen Gemäuer alle umliegenden Dörfer, Städte und Königreiche. In größter Not senden die nahgelegenen Dorfbewohner des kräftigsten Jüngling in Richtung Schloss um die Pläne des dunklen Zauberers zu vereiteln. Doch bereits das Eingangsportal des alten Anwesens gibt Rätsel auf - Hier beginnt das eigentliche Spiel. Die sehr spannend und detailliert geschilderte Backgroundstory wird in regelmäßigen Abständen durch kleine eingeblendete Textfenster weitergeführt. Unterteilt ist das Spiel in über vierzig verschiedene Räume, welche jeweils durch einen Radar und ein toll-gezeichnetes Bild repräsentiert werden. In fast jedem Raum gilt es eines oder mehrere Rätsel zu lösen: Gegenstände müssen richtig kombiniert- und eingesetzt werden, fremde Wesen laden zur Interaktion ein, manchmal gilt es sogar, einen großen Drachen zu besiegen. Glücklicherweise kann zu jederzeit auf die Modul-interne Batterie zurückgegriffen werden, um den derzeitigen Spielstand zu sichern.

Viele Rätsel gestalteten sich bisweilen recht unlogisch und sind erst durch mehrere Anläufe mit Inkaufnahme zahlreicher Ableben lösbar, was aber dank der stetigen Speicherfunktion nicht weiter stört. ICOM Simulations spendierte dem Fantasyspiel sogar drei Speicherstände! Trotz des sehr linearen Spielablaufs sind viele Hindernisse über mehr als nur einen Weg überwindbar. Eine sehr dichte Atmosphäre und eine spannende, aus einem klassischen Horrorfilm entsprungen zu scheinende Story sind die wichtigsten Merkmale des bizarren Abenteuers. Grafisch präsentiert sich das Spiel neben den Standbildern eher zweckmäßig. Funktions- , Speicher-, und das obligatorische Inventar-Menü sind auf dem Screen gut platziert untergebracht. Soundtechnisch gibt sich das Modul sehr düster und dezent im Hintergrund spielend, in spannenderen Spielmomenten hebt sich aber auch mal das Tempo. Doch wie dem auch sei, am Ende des umfangreichen Märchens kann sich der fähige Spieler auf ein wundervolles Disney-artiges Happy End freuen.

Fazit: Shadowgate stellt für alle Fans anspruchsvoller und intelligenter Adventures einen Pflicht-Titel dar. Mit der tragisch-düsteren Atmosphäre, gespickt mit astreiner Lucasfilm Games Technik, inszenierte ICOM Simulations ein hervorragendes Abenteuer. Fans sei wegen der manchmal etwas unpassenden deutschen Übersetzung allerdings lieber zur US-Version geraten. Trotz dieses minimalen Mankos und des eher schlichten Soundtracks finden Abenteuer-Solisten aber in diesem Modul eine grundsolide Geldanlage. Shadowgate hebt sich, so wie das Abenteuer-Genre generell, von üblichen Videogame-Produktionen erfrischend ab: Setzten viele Hersteller auf brachiale Action oder herausfordernde Reaktionsspiele, ging Kemco mit Shadowgate einen wesentlich originelleren Weg, welcher sich ähnlich wie in Maniac Mansion deutlich von vielen 08/15 Konsolen-Produktionen abhebt. Shadowgate lässt sich am ehesten mit Fantasy-Literatur á la "Herr der Ringe" oder "Conan - Der Barbar" vergleichen. Fantasy-Freunden sei zu diesem Spiel auf jeden Fall geraten!


Wertung


8/10

Kommentare



Chancell
Freunden von Fantasy-Literatur wird hier eine interaktives, Dia-Show-unterstütztes Lesevergnügen präsentiert, welches durch einen eigentümlichen Soundtrack sowie größtenteils spannenden Rätselverlauf zu überzeugen weiß. Angelehnt an das viel zitierte grafische SCUMM-Interface bietet die Schattenburg düstere, auf seinem Gebiet eine einzigartige Position vertretende, Adventure-Unterhaltung, wie sie zu jener Zeit vornehmlich PC-Usern vorbehalten war. Als Adventure-Liebhaber stellte es für mich damals einen Pflichtkauf dar. Ungeduldige Zeitgenossen sowie Leute mit einem Hang zum Ballern machen erfahrungsgemäß einen größeren Bogen um derartige Titel, allen anderen sei hiermit dieses exotische Erlebnis ans Herz gelegt.



Kuros
Was mir an Shadowgate besonders gefällt, ist das Ausprobieren der vielen Gegenstände. Dem Spieler wird eine große Freiheit geboten, weshalb man sich z.B. auch einfach mal selbst töten kann, falls man möchte ;) Wirklich alle Varianten dieses Spiels zu erleben, bedarf daher einiger Zeit. Und alleine schon wegen dem im Spiel integrierten "Erzähler" ist das Modul ein Heidenspaß: "Sobald ich von einem heißen Schleim angefallen werde, löse ich mich so schnell auf, dass ich nicht einmal mehr die Zeit hatte, zu leiden" - Großartig! :)



Phil
Shadowgate war für mich wider meinen Erwartungen ein ziemlich fesselndes Spiel. Durch die alte Burg zu streifen und die verzwicktesten Rätsel zu lösen kann sehr viel Spaß bereiten - aber auch Frust auslösen. Denn sehr oft kommt man nur durch das altbekannte Trial & Error Prinzip weiter, was sich bei Text-Adventures dieser Art aber wohl auch nicht vermeiden lässt. Positiv aufgefallen ist mir übrigens auch der Sound, vor allem die Hauptthema ist eine echt geniale Melodie! :)



Sokrates
Einfach verblüffend, dass man mit so schlichten Bildern und banalem, geschriebenem Text eine so dichte Atmosphäre erzeugen kann. Bei jedem gelösten Rätsel durchflutete mich ein heiße Welle des Stolzes und spornte mich an, den Controller keinesfalls aus der Hand zu legen. Bis das Spiel beendet ist und wirklich alle erdenklichen Dinge ausprobiert wurden, vergehen viele kurzweilige Stunden. Ein Klassiker, den sich kein NES-Fan entgehen lassen sollte!



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